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  • AutorenbildElisabetta De Luca

TraumReise #Neapel

Schwerelos gleitet das Flugzeug über den Wolken in der gleißenden Sonne dahin, als zur rechten im glitzernden Meer langsam eine Insel inmitten der goldenen Wellen auftaucht: Capri! Gebannt lehnen sich die Fluggäste ans Fenster, um in der Schönheit dieses Augenblicks zu verweilen, als die Maschine mit einer spontanen Linkskurve zum Landeanflug auf den Flughafen Capodichino ansetzt, und plötzlich die steilen Hänge des mächtigen Vesuvs ganz nahe vor dem Fenster erscheinen.

Genau diese Diskrepanz zwischen der verlockenden Schönheit der Landschaft und der gleichzeitig ständigen Bedrohung durch den Vulkan ist es, welche die Menschen, die seit Jahrtausenden in dieser Stadt leben, prägt, und gleichzeitig den Reiz Neapels ausmacht. Man lebt ganz im Hier und Jetzt. Denn, wer weiß, morgen kann alles schon ganz anders sein. Der Neapolitaner genießt sein Leben, kostet jeden Moment aus, versucht jeder Situation das Positive abzugewinnen. Das Heute ist das einzige, was zählt.

Ich gebe es ja zu, was Neapel betrifft, so bin ich befangen. Sobald ich aus dem Flugzeug oder Zug ausgestiegen bin und den ersten Atemzug dieser berauschenden Luft gemacht habe, tauche ich unmittelbar in das pralle Leben dieser Stadt ein und werde ein Teil von ihr. Daran können auch der Smog, der Verkehrslärm und das ständig aufkeimende Müllproblem nichts ändern, wofür diese Metropole leider als einziges immer wieder in die Medien gerät. Ich sehe diese Stadt nämlich nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen. Und sie ist atemberaubend schön! Mit dieser Meinung scheine ich übrigens nicht die Einzige zu sein, denn keine andere Stadt auf der Welt wird so oft mit dem Adjektiv „schön“ bezeichnet wie Neapel. So gibt es weltweit unzählige Hotels, Restaurants und Speisen, die den Namen „Bella Napoli“ tragen. Irgendetwas muss da doch dran sein…

Mit ca. 2 Millionen Einwohnern, die alle laut sind, gleichzeitig reden, Tag und Nacht hupen, ständig essen und überall Schmutz machen, ist es nicht leicht, seine Schönheit zu bewahren. Napoli aber gelingt das spielend. Wie alle neapolitanischen Frauen zieht sie – ungeachtet des Chaos ringsumher – jeden Morgen ihr schönstes Kleid an, setzt ihr bezauberndstes Lächeln auf und verführt alle mit ihrem Charme. Nicht nur Touristen kommen scharenweise aus aller Welt, um sie zu bewundern, auch die Neapolitaner selbst würden mit niemandem auf der ganzen Welt tauschen wollen! Weh dem, der schlecht über ihre Geliebte spricht!

Den ganzen Tag drängen, schieben und wälzen sich die Menschen durch die engen Gassen der Großstadt. Und das nicht gerne zu Fuß, sondern lieber mit dem Auto oder der Vespa. Nur behäbig schiebt sich die Blechlawine ständig hupend durch die uralten Straßen von Neapolis, die eigentlich gar nicht für den modernen Verkehr gemacht sind. Das rote Ampelsignal ist dabei bestenfalls eine Empfehlung. In Neapel gilt die Vorfahrtsregel „Besser dreimal gehupt als einmal gebremst“. Teilweise sind die Wege hier noch mit Jahrhunderte alten Steinquadern oder Flusssteinen aus der Renaissance gepflastert, auf denen zu gehen berührend und abenteuerlich zugleich ist. Dass Letztere auf der Piazza Dante – einem der schönsten Plätze der Altstadt - vor einigen Jahren durch banale, moderne Granitsteine gleich jenen am Wiener Stephansplatz ersetzt wurden, war eine schmerzhafte Erfahrung für mich, ist aber leider der Globalisierung zuzuschreiben, die selbst vor Neapel nicht Halt macht, hier aber glücklicherweise nur sehr langsam Einzug hält.

Mein Neapel jedenfalls bleibt jenes, teils archaische, teils pittoreske Fleckchen Erde, an dem einfach alles möglich ist. Die berühmte „arte di arrangiarsi“ ist jedem Neapolitaner in die Wiege gelegt. Diese Kunst, sich mit den Gegebenheiten des Lebens zu arrangieren, sich anzupassen bzw. sich das Leben trotz aller Umstände schön zu machen – ist hier entstanden, wo die Menschen seit Jahrhunderten Fremdherrschaft und Unterdrückung durch die unterschiedlichsten Herrscher und Usurpatoren überlebt haben: Italiker, Etrusker, Griechen, Römer, Odoaker, Byzantiner, Normannen, Staufer, Anjou, Aragon, die spanischen Habsburger, dann die österreichischen, die Bourbonen, Napoleon, die Alliierten und jetzt auch noch die EU!! „Ma passerà anche questo“ – „aber das wird auch noch vorbeigehen“, nehmen es die Neapolitaner mit Humor.

Anscheinend haben die Neapolitaner mehr aus der Geschichte gelernt, als jedes andere Volk auf der Welt. Sie haben begriffen, dass man nichts verlieren kann, was man nicht besitzt. Von ständigen Wechseln der unterschiedlichsten Machthaber geprägt, haben sie durch die Jahrhunderte ihre eigenen Strukturen geschaffen und ihre ganz eigene Art zu leben gefunden. Der berühmte neapolitanische Schauspieler und Regisseur Vittorio De Sica meinte einmal dazu: „Eines der Geheimnisse Neapels liegt in seiner über die Jahrhunderte unveränderlichen Art, welche die Menschen, ihre Gewohnheiten und ihre Philosophie ausmachen.




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